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Spielplätze: Das Kind ist ein privates Projekt geworden – Artikel: ZEIT ONLINE

Spielplätze: Das Kind ist ein privates Projekt geworden – Artikel: ZEIT ONLINE

Früher war der Spielplatz ein abenteuerlicher Ort. Heute verhindern Eltern Kreativität, sagt Gabriela Burkhalter, Kuratorin der Ausstellung "The Playground Project".















Spielplätze: "Das Kind ist ein privates Projekt geworden" – Artikel in der ZEIT ONLINE - Judith Luig21. Juli 2018, 13:15 Uhr


Früher war der Spielplatz ein abenteuerlicher Ort. Heute verhindern Eltern Kreativität, sagt Gabriela Burkhalter, Kuratorin der Ausstellung "The Playground Project".

Interview:

Spielplätze: Die interdisziplinäre "Group Ludic" entwickelte Prototypen für Spielgeräte und testete sie mit Kindern. So entstanden variable, multifunktionelle Modelle mit außergewöhnlichen Materialien. Hier "Jouer aux Halles" in Les Halles de Paris.


Die interdisziplinäre Group Ludic entwickelte Prototypen für Spielgeräte und testete sie mit Kindern. So entstanden variable, multifunktionelle Modelle mit außergewöhnlichen Materialien. Hier "Jouer aux Halles" in Les Halles in Paris 1970. © Courtesy Xavier de la Salle © Xavier de la Salle 

Mitten durch die Bundeskunsthalle schlängelt sich eine rote Röhrenskulptur aus Plastik, aus der man Kinderlachen hört. Es ist der Lozziwurm des Designers Yvan Pestalozzi. Vom Dach des Bonner Museums schlittern Besucher über eine Skulptur von Carsten Höller in die Tiefe. Ist das Kunst oder Spielzeug? Beides, sagt die Kuratorin Gabriela Burkhalter. Bis zum 18. Oktober zeigt die Ausstellung "The Playground Project" die Kulturgeschichte des Spielplatzes. Sie soll eine Diskussion über den Platz der Kinder in der Gesellschaft anregen. 

ZEIT ONLINE: Warum sind deutsche Spielplätze so einfallslos? Ich war gerade in Schweden, da gab es einen Spielplatz mit riesiger Holzskulptur und Parcours außenrum ... 

Gabriela Burkhalter: Die Skandinavier sind da sehr innovativ. Die haben schon in den Dreißigerjahren die Idee formuliert, dass Kinder am besten mit natürlichen Materialien spielen und so selbstständig und frei ihr Spiel gestalten. 

Gabriela Burkhalter, Kuratorin der Ausstellung "The Playground Project" 

ZEIT ONLINE: Wer hat eigentlich den Spielplatz erfunden?

Burkhalter: Keine konkrete Person. Die ersten Spielplätze entstanden schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA, in Boston. Man versuchte damals, die Situation der Arbeiterkinder zu verbessern. Da ging es allerdings eher darum, dass die Kinder sich körperlich ertüchtigen und sich in die Gesellschaft eingliedern sollten.

ZEIT ONLINE: Vermutlich nicht mit der Standardausrüstung Wippe, Schaukel und Rutsche, oder?

Burkhalter: Nein, da gab es vor allem Turngerüste mit kühnen Konstruktionen. Im Grunde waren das keine Spielplätze, denn es ging hier nicht um das Spiel im Sinne eines kreativen, freudigen Entdeckens, sondern um Beschäftigung und körperliche Ertüchtigung. Erzieher gaben den Kinder dort oftmals auch Milch zum Trinken, um ihnen Kalorien zuzuführen.

"Der Spielplatz war ein Ort für die Unterschicht"


Riccardo Dalisi installierte in den Siebzigerjahren verschiedene Materialien in dem Neubauviertel Rione Traiano in Neapel und beobachtete, wie die Kinder die Skulpturen in ihr Spiel einbanden. Hier sein Experiment mit Röhren von 1972. © Riccardo Dalisi © Riccardo Dalisi

ZEIT ONLINE: Das heißt, die Kinder wurden beim Spielen von anderen Menschen betreut?

Burkhalter: Die Idee stammte von Sozialreformern, die sich um die Arbeiterschicht bemühten. Zunächst wurde die Betreuung durch Kindergärtnerinnen in privaten Vereinen organisiert, erst um die Jahrhundertwende übernahmen Städte die Verwaltung der Spielplätze. Damit zogen die drei S, die Sie eben benannt haben, auf den Spielplätze ein: Slide, Swing, Seesaw. Rutsche, Schaukel, Wippe.

ZEIT ONLINE: Sind Abenteuerspielplätze eigentlich ein Produkt von der Umbrüche nach 68?

Burkhalter: Nein, die ersten Abenteuerspielplätze wurden schon in den Fünfzigerjahren gebaut. Die durch den Krieg zerbombte Stadt war eine feindliche, eine gefährliche Umgebung. Der Spielplatz sollte ein neues Zuhause bieten. Auch hier leitete ein Playleader das Spiel der Kinder an.

ZEIT ONLINE: Heute sieht man auf dem Spielplatz mehr Eltern als Kinder. Wann kamen die dazu?

Burkhalter: Der Spielplatz war jahrzehntelang ein Ort für die Unterschicht. Eltern waren daher nie dabei, da sie bei der Arbeit waren. Erst als es ein erzieherisches Ideal wurde, dass Kinder kreativ spielen, entdeckte auch die Mittel- und Oberschicht die Möglichkeiten des Spielplatzes.

ZEIT ONLINE: In Ihrer Ausstellung The Playground Project zeigen Sie abenteuerliche Spielplätze aus den Siebzigerjahren in den USA und Italien: Wasserlandschaften, Labyrinthe aus Röhren, Berge aus alten Autoreifen.

Burkhalter: Die Italiener experimentierten zu der Zeit mit einer neuen radikalen Pädagogik, bei der jedes Kind dazu befähigt werden sollte, sein eigenes Design zu erschaffen. Über drei Jahre lang kam Riccardo Dalisi mit seinen Architekturstudenten regelmäßig in den Rione Traiano in Neapel. Sie brachten ihre Modelle mit und ließen den Kindern die Freiheit, selbst welche zu bauen oder eigene Ideen zu verwirklichen.

ZEIT ONLINE: Könnte Dalisi eine Inspiration für eine Revolution der zeitgenössischen Spielplätze sein?

Burkhalter: Warum nicht. Gerade die Siebzigerjahre waren prägend. Man hat zu dieser Zeit auch gesagt, das Spielen solle eben nicht nur in einem begrenzten, genau definierten Ort stattfinden, sondern in der ganzen Stadt.

Ein Mäuerchen, das die Eltern fernhält

ZEIT ONLINE: Warum gibt es nicht mehr von diesen künstlerischen Orten, wie sie Richard Dattner und Riccardo Dalisi designt haben?

Burkhalter: Einen Spielplatz zu entwerfen, ist eine hoch komplizierte Sache. Das Fachwissen, was man alles beachten muss, wird nur von Spezialisten beherrscht. Da wird der Bau eines kreativen Spielplatzes schnell eine Geldfrage.


Richard Dattner beobachtete, wie Kinder in den Straßen spielten, und ließ sich davon zu seiner Spiellandschaft "Ancient Play Garden" im Central Park, New York City inspirieren. Sie wurde 1972 erbaut und 2009 saniert. Courtesy Richard Dattner © Richard Dattner

ZEIT ONLINE: Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Burkhalter: Ideal wären viele kleine Inseln in der Stadt, mit unterschiedlichsten Angeboten. Studien zeigen, wie wichtig es für die kindliche Entwicklung ist, wenn Kinder unbeaufsichtigt Zeit draußen verbringen können. Das Kind muss eine gewisse Freiheit haben, und Platz zum Ausprobieren. Eltern wollen diese ersten Ablösungsschritte oft mit aller Macht verhindern. Das Kind ist ein privates Projekt geworden und das Bewusstsein, dass Kinder auch Teil der Gesellschaft sind, ist verloren gegangen.

ZEIT ONLINE: Wenn es nach Ihnen ginge, würden man die Eltern also vom Spielplatz verbannen?

Burkhalter: Ja. Für Spielplatzdesigner stellen die Eltern oft ein Problem dar. Eltern wollen ihr Kind auf dem Spielplatz oft beschützen. Sie mischen sich ein oder fordern das Kind auf, Dinge zu tun, die es noch gar nicht kann. Der Architekt Richard Dattner hat sogar auf einem Spielplatz ein Mäuerchen gebaut, um die Eltern ein bisschen auf Distanz zu halten.


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